Zeitschrift 

Der Landtag von
Baden-Württemberg

 

 

 

 

Heft 4/2004, 
Hrsg.: LpB



 

Inhaltsverzeichnis

BAUSTEIN C


WIE ENTSTEHT EIN GESETZ?
BEISPIEL: DAS GESETZ ZUM KOPFTUCHVERBOT AN BADEN-WÜRTTEMBERGISCHEN SCHULEN

Politik wird von Menschen für Menschen gemacht. Parlamente sind Orte, an denen über Ziele und Wege politischen Handelns gestritten wird. Abgeordnete debattieren darüber und treffen Entscheidungen, die uns alle angehen und die oft tief in unser Leben eingreifen. Um Entscheidungen und deren Hintergründe besser verstehen zu können, sollte man die Parlamentsarbeit aus eigener Anschauung kennen. Umgekehrt reicht aber auch eine Stippvisite im Landtag nicht aus, um die komplexen und nicht einfach zu durchschauenden Vorgänge verstehen zu können.

Parlamentsdebatten sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Arbeit der Landtagsabgeordneten. Parlamentarische Abläufe fordern und binden das Engagement der Parlamentarier zusätzlich in den Fraktionen, Arbeitskreisen und Ausschüssen. In den "Werkstätten des Parlaments" findet die eigentliche Arbeit statt. Hier diskutieren Expertinnen und Experten, hier werden Kompromisse geschlossen und die Entscheidungen des Plenums vorbereitet.

Baustein C befasst sich mit der Entstehung eines Gesetzes. Er rückt ab von einer reinen Institutionenkunde, indem er den Streit, ob eine muslimische Lehrerin an einer baden-württembergischen Schule ein Kopftuch tragen darf, zum Inhalt wählt. Viele der zuvor vorgestellten Instanzen und Institutionen, die in diesen Prozess involviert sind, erscheinen hier erneut anhand eines konkreten Beispiels.

Bei der Behandlung des Themas ist von der Seite der Lehrenden darauf zu achten, dass nicht der Kopftuchstreit, sondern die parlamentarischen Vorgänge im Vordergrund stehen. Um Lehrende und Lernende auf eine gemeinsame Ausgangsbasis zu stellen, ist es notwendig, die Vorgeschichte des Kopftuchstreits in knappen Zügen zu streifen. Weshalb sich der Landtag mit diesem in ganz Deutschland Wellen schlagenden Thema beschäftigen muss, wie er es in den Arbeitskreisen, Fraktionen und Ausschüssen behandelt, und wie es letzten Endes zum Gesetz kommt, das sollen die Schwerpunkte dieses Bausteins sein.

Der Kopftuchstreit ist ein aktuelles Thema mit viel Brisanz. Er hat in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt und auch viele Schülerinnen und Schüler, insbesondere die islamischen Glaubens, berührt. Zur Behandlung im Unterricht eignet er sich deswegen besonders gut, weil an diesem Beispiel die Zuständigkeit des Landes verdeutlicht werden kann und sich der Ablauf von der Entstehung bis zur Verabschiedung eines Gesetzes sehr gut verfolgen lässt.

 

picture-alliance/dpa

Fereshta Ludin, muslimische Lehrerin und Beschwerdeführerin im Kopftuchstreit, wird am 24. September 2003 vor der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe von Journalisten umlagert.

Das Land Baden-Württemberg habe mit seiner Ablehnung, Frau Ludin in den Schuldienst zu übernehmen, ihre Religionsfreiheit verletzt, so die Verfassungsrichter. Die Bundesländer dürfen muslimischen Lehrerinnen das Kopftuchtragen im Unterricht allerdings verbieten, wenn sie hierzu eine "hinreichend bestimmte" gesetzliche Grundlage schaffen.

Der Landtag von Baden-Württemberg hat diese Vorgabe des höchsten deutschen Gerichts am 1. April 2004 mit der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes umgesetzt.

 

UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE

Der Fall Ludin hat bundes- und landesweit viel Aufsehen erregt. Was war passiert? Das soll in aller Kürze mit C 1 dargestellt werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (C 2) setzt einen vorläufigen Schlusspunkt unter die rechtliche Auseinandersetzung um das Tragen eines Kopftuches in der Schule. Aus C 3 lässt sich entnehmen, weshalb der Kopftuchstreit nun zum Thema im Landtag wird.

Die Materialien C 4 - C 6 thematisieren die Einigung innerhalb der Regierungskoalition auf einen Gesetzentwurf. Zur Ersten Lesung des Gesetzes liegen dann, zusammen mit dem Gesetzentwurf der Oppositionsfraktion GRÜNE, dem Landtag zwei Gesetzentwürfe vor.

Gesetzgebungsverfahren gehen einen mehrstufigen Weg durch den Landtag. Sie werden vom Plenum an die zuständigen Fachausschüsse verwiesen und dort detailliert beraten. Beim Kopftuchstreit holte man sich hier auch den Rat von Experten ein. Diese wurden im Ausschuss für Schule, Jugend und Sport sowie im Ständigen Ausschuss angehört und um ihre Meinung gefragt (C 7). Die Anhörung der Experten deckte einen Schwachpunkt der Gesetzesvorlage auf. Der Ständige Ausschuss machte daher Vorschläge zu einer Korrektur der Vorlage, der auch der Ausschuss für Schule, Jugend und Sport zustimmte (C 8 - C 9).

Am 1. April 2004 befasste sich der Landtag im Plenum in Zweiter Lesung mit dem Gesetzentwurf und verabschiedete die Novelle endgültig (C 10 - C 11). Damit hatte der Landtag von Baden-Württemberg die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt und eine gesetzliche Regelung getroffen. Mit der Ausfertigung des Gesetzes durch den Ministerpräsidenten und seiner Verkündung (C 12) ist der Gesetzesvorgang abgeschlossen.

Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über den Fall Ludin gilt die Auseinandersetzung um das Tragen eines Kopftuchs von Lehrerinnen in der Schule in Deutschland für abgeschlossen. Die Unterrichtseinheit sollte aber nicht enden ohne die Überlegung: Was ist, wenn der Europäische Gerichtshof in Brüssel die Kopftuch-Geschichte neu aufrollt (C 14)?

C 15 gibt die Möglichkeit, den gesamten Gesetzgebungsprozess nochmals nachzuvollziehen bzw. auf andere Gesetzesvorhaben zu übertragen.


 

 


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