Zeitschrift 

Der Landtag von
Baden-Württemberg

 

 

 

 

Heft 4/2004, 
Hrsg.: LpB



 

Inhaltsverzeichnis

C 

Wie entsteht ein Gesetz?

Der Landtag verabschiedet ein Gesetz


C 4  Das Kabinett einigt sich auf einen Entwurf

Der Streit im Landeskabinett um das Verbot des Kopftuchs muslimischer Lehrerinnen im Unterricht ist beendet. Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP), die vor einer zu schnellen Entscheidung gewarnt und Zweifel geäußert hatte, ob Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht das Tragen des Kreuzes erlaubt bleiben, das muslimische Kopftuch aber verboten werden könne, hat ihren Widerstand aufgegeben. Sie trat gestern Abend zusammen mit Kultusministerin Annette Schavan (CDU) in Stuttgart vor die Presse, um einen zuvor in den Koalitionsfraktionen von CDU und FDP vorgestellten Gesetzentwurf Schavans zu präsentieren. ...

Der nun vorgelegte Entwurf sieht vor, dass Lehrkräfte an öffentlichen Schulen keine religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben dürfen. Die Bekundung christlicher und abendländischer Kulturwerte oder Traditionen dagegen wird als dem Erziehungsauftrag der Landesverfassung entsprechend bezeichnet. Damit wären Kreuze und wohl auch die Kippa jüdischer Lehrer erlaubt, nicht aber das Kopftuch, das als politisches Signal gewertet wird. Lehramts-Referendarinnen soll aufgrund des Ausbildungsmonopols des Staates das Kopftuch erlaubt sein. Das Gesetz soll bis zum Frühjahr 2004 beschlossen werden.

Esslinger Zeitung vom 29. Oktober 2003 (Hermann Neu)

 


C 5 Dem Landtag liegen zwei Gesetzentwürfe vor

 

Nachdem sich die Regierungskoalition aus CDU und FDP/DVP geeinigt hatte, legte am 14. Januar 2004 die Regierung des Landes Baden-Württemberg einen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes vor. Zum wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs heißt es hier:

"Lehrkräften sollen an öffentlichen Schulen solche äußeren Bekundungen untersagt werden, die die Neutralität des Landes oder den Schulfrieden gefährden oder stören, vor allem grundlegende Verfassungswerte missachten können."

In der Begründung zu dem Gesetzentwurf wird näher erläutert, was unter "äußeren Bekundungen" zu verstehen sei. Hierbei handle es sich um ...

"... alle Äußerungen und jegliches Verhalten, also z. B. verbale Äußerungen, Kleidungsstücke, Plaketten und sonstige Formen des Auftretens, die von Dritten als Ausdruck politischer, religiöser, weltanschaulicher oder ähnlicher individueller Überzeugung wahrgenommen werden können".

 

Wenig später, am 27. Januar 2004, legte die Oppositionsfraktion GRÜNE ihren Gegenentwurf vor. Religiöse und weltanschauliche Bekundungen sollten demnach in "angemessener, nicht provokativer Form, die die offene, religiös-weltanschauliche Neutralität des Landes wahrt", erlaubt sein. Bei eventuellen Konflikten sei es die Aufgabe der Schulgemeinschaft, diese durch Gespräche zwischen den Beteiligten und den Betroffenen beizulegen.

Erst wenn dieser Konflikt nicht auszugleichen sei und die Gefahr einer Störung des Schulfriedens bestehe, sollte die Schulleitung unter Einbeziehung der entsprechenden Beschlüsse der beteiligten Gremien (z. B. Schulkonferenz, Gesamtlehrerkonferenz) die Lehrerin auffordern, die Bekundung zu unterlassen, also z. B. die umstrittenen Kleidungsstücke abzulegen.

Quellen: Drucksachen des Landtags von Baden-Württemberg 13/2793 und 13/2837 sowie Protokoll der 62. Sitzung des Landtags von Baden-Württemberg, 13. Wahlperiode, S. 4390

 


C 6 Das Kopftuchgesetz im Plenum: Erste Lesung

 

 

LMZ

Am 4. Februar 2004 behandeln die Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg in Erster Lesung die beiden Gesetzentwürfe der Landesregierung und der Oppositionsfraktion GRÜNE zur Änderung des Schulgesetzes, des so genannten Kopftuchgesetzes. Frau Dr. Annette Schavan, die Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, begründet im Namen der Landesregierung deren Gesetzentwurf im Parlament. Am Ende der Ersten Lesung überweist das Plenum beide Gesetzentwürfe zur federführenden Beratung an den Schulausschuss und zur Mitberatung an den Ständigen Ausschuss des Landtags.

 

ARBEITSAUFTRÄGE C 1 - C 6

  • Beschreibe anhand der Materialien, wie der Konflikt zwi-schen Frau Ludin und dem Oberschulamt entstanden ist! Welches Argument führt das Oberschulamt an? Worauf beruft sich Frau Ludin?
  • Weshalb muss sich der Landtag von Baden-Württemberg mit diesem Streit befassen?
  • Welche Vorgaben macht das Bundesverfassungsgericht für ein zukünftiges Gesetz?
  • Beschreibe die Schritte bis zur Ersten Lesung des Kopftuchgesetzes im Landtag.
  • Welche Unterschiede bestehen zwischen dem Gesetzentwurf der Landesregierung und dem der Fraktion GRÜNE?

 


C 7 Experten-Hearing im Schulausschuss

Am 12. März 2004 findet im Ausschuss für Schule, Jugend und Sport, dem federführenden Ausschuss des Landtags für das Kopftuchgesetz, eine öffentliche Expertenanhörung statt.

Die Expertinnen und Experten haben zwanzig Minuten Zeit, zu den Gesetzentwürfen ihre Stellungnahme abzugeben. Im Anschluss an jede Stellungnahme folgt eine Fragerunde für die Ausschussmitglieder. Als Sachverständige sind eingeladen:

Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof
Universität Tübingen, Juristische Fakultät; Mitglied des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg

Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz
Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a. D.

Prof. Dr. Matthias Jestaedt
Universität Erlangen-Nürnberg, Juristische Fakultät

Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde
Richter am Bundesverfassungsgericht a. D.

Frau Seyran Ates
Rechtsanwältin

Rainer Mack
Rektor; Vorsitzender der Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern in Baden-Württemberg e. V.

Dr. Michael Trensky
Oberkirchenrat, Evangelische Landeskirche in Baden, für die Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg und für die (Erz-)Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart

Quelle: 13. Landtag von Baden-Württemberg: Protokoll der 26. Sitzung des Ausschusses für Schule, Jugend und Sport vom 12. März 2004

 


C 8  Ständiger Ausschuss korrigiert Gesetzentwurf für Kopftuchverbot

Mit dem Ziel eines noch deutlicheren Bezugs zur baden-württembergischen Landesverfassung hat der Ständige Ausschuss des Landtags den Gesetzentwurf der Landesregierung zum Kopftuchverbot korrigiert. Einem einschlägigen gemeinsamen Änderungsantrag von CDU, SPD und FDP sowie dem entsprechend angepassten Gesetzentwurf stimmte das Gremium mit großer Mehrheit zu. Dies teilte der Vorsitzende des Ausschusses, der CDU-Abgeordnete Klaus Herrmann ... mit. Die GRÜNEN, die einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben, lehnten die Novelle ab.

Pressemitteilung des Landtags von Baden-Württemberg 27/2004 vom 25. März 2004

 


C 9  Geänderter Gesetzentwurf zum Kopftuchverbot passiert auch den Schulausschuss des Landtags

Nach dem mitberatenden Ständigen Ausschuss hat sich jetzt auch der Schulausschuss des Landtags für eine Korrektur des Gesetzentwurfs der Landesregierung zum Kopftuchverbot ausgesprochen. Wie der Vorsitzende des Schulausschusses, der SPD-Abgeordnete Peter Wintruff ... mitteilte, stimmte das Gremium dem gemeinsamen Änderungsantrag von CDU, SPD und FDP sowie dem entsprechend angepassten Gesetzentwurf - bei zwei Gegenstimmen - mit großer Mehrheit zu.

Ziel des korrigierten Gesetzestextes ist ein noch deutlicherer Bezug zur baden-württembergischen Landesverfassung. Der von den GRÜNEN vorgelegte alternative Gesetzentwurf wurde - wie bereits im Ständigen Ausschuss - abgelehnt.

Pressemitteilung des Landtags von Baden-Württemberg 29/2004 vom 30. März 2004

 


C 10 Der Landtag beschließt das Kopftuchgesetz

 

 

LMZ

Am 1. April 2004 stimmt der Landtag von Baden-Württemberg mit der Mehrheit seiner Abgeordneten dem Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Schulgesetzes zu. Grundlage der Abstimmung war die mit der Mehrheit von CDU und FDP/DVP sowie SPD gefasste Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule, Jugend und Sport. Damit ist das so genannte Kopftuchgesetz vom Landtag beschlossen.

Das Gesetz kann nach der Unterzeichnung durch die Landesregierung und nach der Verkündung im Gesetzblatt für Baden-Württemberg in Kraft treten. Das Geschehen im Parlament wird von einer Muslimin auf der Tribüne im Landtag aufmerksam beobachtet.

 


C 11 Schavan erwartet Klagen

Der Landtag hat ein Verbot von Kopftüchern für muslimische Lehrkräfte an Schulen beschlossen. Kultusministerin Annette Schavan (CDU) erwartet Klagen - und eine Debatte über den "Ethos des Amtes". Die GRÜNEN unterlagen mit ihrem "Kompromissantrag" einer Koalition aus CDU, FDP und SPD.

Kultusministerin Annette Schavan zeigte sich ... "erleichtert", dass das Verbot auf parteiübergreifendem Konsens fußt. Nach einer Expertenanhörung, in der drei von vier Verfassungsrechtler ein allgemeines Verbot für problematisch erachteten, korrigierte man den Gesetzentwurf auf Vorschlag des früheren SPD-Innenministers Frieder Birzele. Nunmehr wird "noch deutlicher" auf den Erziehungsauftrag gemäß der Landesverfassung abgehoben. Danach gilt die "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte" als Verhaltensgebot.

... In seinem Urteil vom 24. September 2003 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sich im geltenden Recht des Landes keine ausreichende Grundlage für ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte finde. In der jetzigen Novelle des Schulgesetzes heißt es in Paragraf 38, "Lehrkräfte dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern ... oder den Schulfrieden zu gefährden." Und in Satz 3: "Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen entspricht dem Bildungsauftrag der Landesverfassung."

Südkurier vom 2. April 2004 (Gabriele Renz)

 

ARBEITSAUFTRÄGE C 7 - C 12

  • Welche Expertinnen und Experten werden im Landtagsausschuss für Schule, Jugend und Sport gehört? Welche Interessengruppen repräsentieren sie?
  • Das Anhörungsprotokoll findet ihr auf der Homepage des Landtags (Aktuelles - Anhörungsprotokoll "Kopftuchverbot"). Wie lange dauerte die Anhörung? Wie kann man kontrollieren, welche Abgeordnete an der Sitzung teilgenommen haben? Wie viele Seiten muss sich ein(e) Abgeordnete(r) durchlesen, wenn sie/er an der Anhörung nicht teilnehmen konnte und erfahren will, was die Experten vorgetragen haben?
  • Was passiert im Anschluss an die öffentliche Anhörung in den beteiligten Ausschüssen? Welche Parteien unterstützen in diesem Beispiel die Regierung?
  • Wann tritt ein im Landtag beschlossenes Gesetz in Kraft? Wer unterschreibt das Gesetz?

 


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