Zeitschrift 

Politische Denkmäler

Vier Stuttgarter Denkmäler:
Idee und Wirkung

Denkmäler für demokratische Politiker
 

Heft 4/2002, 
Hrsg.: LpB

 



 

Inhaltsverzeichnis

B 4 - B 9 

Denkmäler für demokratische Politiker

 

B 10  Das Willy-Brandt-Denkmal in Berlin

 

Die Frontansicht der Skulptur von Rainer Fetting im Willy-Brandt-Haus der SPD in Berlin-Kreuzberg

Bild: Fotografien Skulptur Berlin, Galerie Tammen & Busch 1996

 

B 11  Die Skulptur im Atrium der Parteizentrale

 

Da steht er nun. Wir haben es mit einer realistischen Porträtskulptur zu tun. Der Porträtierte ist für den Betrachter wiedererkennbar. Doch nur scheinbar ist ein "traditionelles", klassisches Denkmal geschaffen worden, denn das Denkmal zeigt nicht nur den Politiker, sondern auch die private Person. Zudem ist das Denkmal nicht im Freien an einem öffentlichen Platz aufgestellt. Indessen ist das Erdgeschoss der SPD-Parteizentrale (das Willy-Brandt-Haus in Berlin) für die Öffentlichkeit zugänglich. Jeden Montag findet hier im Atrium die Pressekonferenz der SPD statt. Die Skulptur, die direkt rechts neben dem Rednerpult steht, wird auf diese Weise ständig medial wieder ins Bewusstsein gerückt. Die heutige SPD-Führung stellt sich damit bewusst auf eine mediengerechte Weise in die Tradition Willy Brandts. Skulptur und Aufstellungsort und mediale Vermittlung spielen auf äußerst moderne Weise zusammen. Unzählige Besuchergruppen lassen sich vor "ihrem Willy" fotografieren. Die Brandt-Skulptur hat der Künstler in gut halbjähriger Arbeit als Skulptur in Plastilin vorausgebildet, bevor sie in Bronze gegossen worden ist. Die Skulptur ist über 500 Kilo schwer und 3,40 Meter hoch. Obwohl sie von einem Künstler stammt, der sich bis dahin in seinem Werk noch wenig als Bildhauer hervorgetan hat und zuvor mehr als Maler tätig gewesen ist, zählt sie zu den bedeutendsten Skulpturen der 1990-er Jahre.

Christof Rieber; nach Mirja Linnekugel: Das Denkmal vom Sockel heben, in: Willy-Brandt-Haus Berlin. Berlin: Stadtwandelverlag Daniel Furhop 1999 (Die Neuen Architekturführer Nr. 8), S. 22f.

 

B 12  Ein Interview mit dem Bildhauer

 

Rainer Fetting: "Ja, ich musste Willy Brandt, seine Persönlichkeit, in einer Art treffen, die auch den Mann von der Straße überzeugt, nicht nur elitäres, prätentiöses Kunstpublikum. Für mich macht es ein Kunstwerk keineswegs schlechter, wenn der sogenannte Mann von der Straße den Porträtierten wiedererkennt. Bei einem Sujet wie der Brandt-Skulptur muss der Wiedererkennungswert absolut gegeben sein. Sonst sollte man es lieber lassen. [...] Ich habe bei der Arbeit an dieser Skulptur eine Testsituation eher unfreiwillig erlebt, als ich mit dem kleinen Modell über die Straße ging, und ein Arbeiter, der gerade aus dem Supermarkt kam, prompt sagte: ,Mann, der Willy, Donnerwetter...' Das hat mich natürlich sehr gefreut. Ich habe verstanden, dass zumindest dieser Aspekt der Arbeit gelungen war, der Wiedererkennungswert [...] Wenn du alte Fernsehaufnahmen anschaust, dann fällt dir Brandts Art auf, wie er sich im Gespräch auf seine jeweiligen Gesprächspartner konzentriert, gleichzeitig aber immer auch nach innen zu horchen scheint. Das wollte ich in seiner Körperhaltung ausdrücken. Es ist weniger eine Introvertiertheit als vielmehr die Konzentration eines Mannes, der seine Außenwelt aufmerksam registriert, aber gleichzeitig auch nach innen lauscht. Deshalb habe ich beispielsweise die Ohren sehr betont, um diese Aufmerksamkeit Brandts zu unterstreichen, seine Fähigkeit, zuhören zu können, nach innen und nach außen...

Heinzpeter Schwerfel: [...] Anstelle des heroisierenden Pathos hast du dich für eine unspektakuläre, alltägliche Haltung entschieden.

Rainer Fetting: Nein, ich habe versucht, verschiedene Züge von Brandt in einer Skulptur zusammenzufassen. Gerade die ältesten Medien der Welt wie Malerei und Skulptur bieten solcherlei Verdichtung intensiver an als modernere Medien wie Film oder Video, wo man nur Einzelbilder oder Schnappschüsse bekommt. [...] Bei den Russen-Monumenten etwa passt der Kopf fünfzehnmal in den Körper hinein, denen kommt es also nicht auf den Menschen an, die Persönlichkeit, sondern auf die Uniform. Mir war dagegen immer klar, dass der Kopf von Brandt groß sein muss, der ist das Wichtigste, der steht für seine intellektuellen Fähigkeiten, aber auch für seine Bedächtigkeit, seine Aufmerksamkeit, seine Gabe, überlegt zu handeln. Bei der Brandt-Skulptur liegt die Proportion von Kopf zu Körper bei ungefähr sechseinhalbmal; die Standardregel eines Menschen ist sieben. [...] Dass die große Skulptur [gegenüber dem kleinen Modell] einen weniger introvertierten Brandt zeigt, haben wir ja schon erwähnt. Hier ist der Macher Brandt wichtig, der Politik machte, gesellschaftliche Veränderungen in Bewegung setzte, eine Wende provozierte. Die überdimensionale Figur verlangt auch eher nach dieser raumgreifenden Geste als die kleine. Bei meinen früheren Skulpturen habe ich mich immer mit der Drehung beschäftigt, mit der Drehbewegung innerhalb des Körpers. Deshalb habe ich die große Skulptur im Laufe der Arbeit in eine Drehung versetzt, was kompliziert durchzuführen war: Die Schulter dreht sich nach hinten, und gleichzeitig geht der Arm nach vorne. [...] Es war mir ohnehin wichtig, dass die Figur von allen Seiten interessant ist...

Heinzpeter Schwerfel: Der Linienverlauf vom Kopf über den Körper und den Faltenwurf der Hose setzt sich bis in den Sockel fort, der damit Teil der Figur wird.

Rainer Fetting: Damit habe ich Brandt regelrecht im Sockel verankern wollen, um so eine Art Erdverbundenheit zu zeigen, dass er eben mit beiden Beinen auf der Erde stand - wenngleich dieses Verankertsein das Standbeins in bezug auf die Gesamthaltung nichts Schweres, Pathetisches hat, sondern die große Figur immer auch, trotz aller Spannung beflügelt wirkt. [...] In diesem präzisen Fall hatte der Architekt mir Grundrisse gezeigt, auf den Bauplänen einen Standort angedeutet und eine vorgegebene Größe. Letztendlich wird die Skulptur aber größer, was gut ist, denn sie soll sich nicht nur sauber in die Architektur einfügen, sie soll ruhig etwas sperrig sein, Eigenleben haben. Ich will, dass diese Figur ihre eigene Bedeutung hat. Eine gute Skulptur kann man eigentlich überall hinstellen."

Interview mit Rainer Fetting. In: Willy Brandt. Die Skulptur von Rainer Fetting, Berlin: Galerie Tammen & Busch 1996, S. 33-78 (Auszüge)

 

B 13  Der Enkel vor dem Denkmal

 

23. September 2002: Am Morgen nach einer spannenden Wahlnacht stellt sich Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Berliner SPD-Zentrale der Presse; an seiner Seite die überlebensgroße Skulptur des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt. Schröder, der politische Enkel Brandts, hat sein Ziel erreicht: zusammen mit den Grünen kann die SPD weiterregieren.

Bild: dpa

 

B 14  "Realismus als kritische Auseinandersetzung"

 

Der Berliner Kunsthistoriker
Dieter Ronte:

 

"[...] Fetting hat sich bemüht, nicht in die offizielle Pose eines Politikerporträts zu verfallen. Er suchte privatistischeren, subjektiveren und individuelleren Ausdruck, um aufzuzeigen, dass die Funktionen im Staat nicht lebenslang gewährt werden, nicht von Geburt her bestimmt sind, sondern erarbeitet, erdacht und gestaltet werden müssen, um in der Funktion als Tätigkeit und Aktion wirksam werden zu können. Diese Wirksamkeit impliziert auch den Verlust, die Dominanz des anderen, basiert auf dem Verständnis von Toleranz. [...] Der Realismus von Fetting ist nicht die Nachbildung über die Oberfläche, sondern der Versuch, über das Motiv in dessen Eigentlichkeit einzudringen. Fetting vermeidet dabei jegliche Idealisierung, also eine Überhöhung des Dargestellten. Er vermeidet den plumpen Realismus im Sinne des Naturalismus. Sein Realismus ist eine kritische Auseinandersetzung, ist Befragung und Antwort zugleich. [...] Es ist also nicht das große Denkmal, die Cäsarfigur, die Statue des Augustus, es ist nicht das offizielle Historienbild eines Politikers [...], es ist auch nicht der Lenin, vielleicht nur ein bisschen, es sind nicht die Stalins usw. Seltsam, dass in einer Stadt, in der so viele offizielle Denkmäler vernichtet werden, gerade weil sie so offiziell ästhetisch diktiert sind, ein Künstler den Mut hat, ein neues Porträt von einem Politiker zu kreieren. Vielleicht musste er schon deshalb der Skulptur das Offiziöse nehmen, den offiziellen Habitus verweigern, ohne ihn dennoch völlig aufgeben zu können."

Dieter Ronte: Willy Brandt. Die Skulptur von Rainer Fetting. In: Michael Rueth: Das Willy-Brandt-Haus: Göttingen: Steidle 1996, S. 17-19

 

B 15  Die Skulptur betrachten

 

Fettings Willy Brandt-Skulptur ist ambivalent zu verstehen. Einerseits geht es um ein verstorbenes Politikeridol, das verehrt und dazu benutzt wird, heutige Politiker und Politikinhalte sozusagen abzusegnen. Insofern ist von Indienstnahme zu sprechen. Andererseits geht es um argumentative Politik und damit um lebendige geistige Auseinandersetzung. Eine stilistische Besonderheit deutet darauf hin, dass es vor allem um Letzteres gehen soll. Die Skulptur ist nicht präzise und nicht fertig gestaltet und erinnert insofern an Michelangelo, Rodin oder Alfred Hrdlicka. Zudem ergeben sich beim Umlaufen und Herumgehen verschiedene Sichtweisen von vorn und hinten, von den Seiten und von oben und unten. Das Atrium lädt zu solchen mannigfaltigen Sichtweisen geradezu ein. Das Denkmal ist vom Sockel gehoben und wird als "vielschichtige und deshalb authentische Gestalt zur Diskussion" gestellt. "Jeder Betrachter kann andere Wesenszüge Willy Brandts in der Skulptur entdecken, auch den Ausdruck seiner Niederlagen und Triumphe. [...] Als Vorlage benutzte er [Rainer Fetting] Fotos und Filme, an kleineren Modellen erarbeitete er das Bild von Willy Brandt, das er darstellen wollte. Fetting ist nie persönlich mit Willy Brandt zusammengetroffen, die Persönlichkeit des Politikers und Privatmanns interessierte und faszinierte ihn jedoch seit Jahrzehnten."

Christof Rieber, nach Mirja Linnekugel: Das Denkmal vom Sockel heben, in: Willy-Brandt-Haus Berlin. Berlin: Stadtwandelverlag Daniel Furhop 1999 (Die Neuen Architekturführer Nr. 8), S. 22 f.

 

B 16  Seitenansicht

 

Bild: Rüdiger Hartmann

 

 


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