Zeitschrift

Die sechziger Jahre

in der Bundesrepublik Deutschland


Baustein D: D15 - D18
Zur Einschätzung der Nachwirkungen


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Inhaltsverzeichnis

 

D 15 Nachwirkungen

Die Frage, welche Auswirkungen die Revolte der Achtundsechziger auf längere Sicht gehabt hat, ist nicht leicht zu beantworten. Folgende gesellschaftlichen Veränderungen, vor allem der siebziger Jahre, werden oft mit der Studentenbewegung in Verbindung gebracht. Doch nicht nur der kausale Zusammenhang ist umstritten, auch die Phänomene selbst werden kontrovers beurteilt.

Infragestellung von Autoritäten, Abbau hierarchischer Strukturen in Schule und Hochschule

Zunahme der individuellen Freiheit (weniger soziale Kontrolle, mehr Toleranz in der Gesellschaft)

Entstehen der Frauenbewegung, Fortschritte in der Emanzipation der Frauen

Neue Formen des Zusammenlebens (Wohngemeinschaften, Paare ohne Trauschein, mehr Singles)

Anderes Verständnis von Kindererziehung ("Elterliche Sorge" statt "Elterliche Gewalt"), Lockerung der Umgangsform zwischen Jung und Alt

Entstehen einer Alternativkultur

Verstärkte Ideologisierung der Politik (Zerstörung des bisherigen gesellschaftlichen Konsenses)

Neue Formen politischer Beteiligung, Forderung nach "Politik von unten" (Mitbestimmung, Demokratisierung, Bürgerinitiativen, neue soziale Bewegungen)

Ausbildung unkonventioneller bis illegaler Formen des politischen Protests

Auflösung traditioneller Bindungen (Wertewandel, Werteverfall?)

D 16 Zur Bewertung der Studentenrevolte

a) Karl Dietrich Bracher

Ebenso wichtig wie die unmittelbaren politischen Konsequenzen erscheinen die psychologischen und begriffspolitischen Auswirkungen des radikalen Progressismus. Dazu gehörte, dass nun der Ruf nach "Demokratisierung" als Mitbestimmung bis in die untersten Einheiten von Organisationen, Betrieben, Schulen von allen Seiten ertönte, dass betont systemkritisch von Basis-Demokratie und Bürgerinitiativen, von Spätkapitalismus und Spätbürgertum die ständige Rede war... Zurück blieb ein ideologisches Schlachtfeld, dem heute zunehmend nostalgische Erinnerungen gelten...

Der geistige Ertrag des mit so viel Enthusiasmus und Aufwand begonnenen Aufbruchs blieb umstritten, und der weitere Verlauf hat durch die überstürzten, zum Teil naiven Maßnahmen der Regierung (im Bildungssystem, durch Herabsetzung des Mündigkeitsalters), vor allem aber wegen der gewaltsamen und terroristischen Auswirkungen durch den weiteren Verlauf zu zahlreichen menschlichen und politischen Enttäuschungen geführt... (Die) "antiautoritäre Welle" blieb bald stecken: es wuchs eine Stimmung der Skepsis, Angst vor der Zukunft, Verlangen nach anderen Lebensformen, Nostalgie.

Zeit der Ideologien, Stuttgart (Deutsche Verlagsanstalt) 1982, S. 307 f. und S. 313.

b) Franz Schneider

"APO" bedeutete zwar dem geflügelten Wortlaut nach, dass die Opposition außerparlamentarisch war, aber sie war weithin auch ... antiparlamentarisch. Dies bedeutet nicht nur, dass sich diese Opposition als außerhalb jenes Rahmens stehend verstand, den unsere durch die Verfassung gegebene Ordnung für politische Alternativen institutionell - eben in Form von Parlament und Parteien - bereithält. Es impliziert auch als Programm, dass der Parlamentarismus als Lebenslüge einer verschleierten Klassenherrschaft zu entlarven und zu ersetzen sei. Die aggressive Stoßrichtung der politischen Agitation zielte vor allem auf das Parlament, weil es eben die Volksvertretung ist, die gegenüber jeder Art von revolutionärem Gehabe das Fundament der stärksten Abwehr bietet.

Franz Schneider (Hg.): Dienstjubiläum einer Revolte, München (v. Hase & Koehler) 1993, S. 49.

c) Willy Brandt

Auszug aus einer Rede auf dem SPD-Kongress "Die junge Generation und die Zukunft der Demokratie" im Januar 1969 in Bad Godesberg

Die Jugend erwartet vorausschauendes Denken statt taktischer Manöver, Zivilcourage statt Opportunismus, Mut zur Unbequemlichkeit statt Appelle an die Bequemlichkeit. Politische Macht und ihre Handhabung müssen durchschaubar sein. Es ist für mich unbestreitbar, dass man die im Grundsatz geregelte staatliche Ordnung vom Grundsatz her in Zweifel ziehen darf. Nur muss man wissen, wo man reaktionären und zerstörenden Kräften hilft; man muss wissen, weshalb man den Widerstand derer findet, die unsere verfassungsmäßige Ordnung für verteidigungswert und entwicklungsfähig halten. In Ländern, wo sie nicht vorhanden sind, kämpft die studentische Jugend für die elementaren demokratischen Freiheiten. Anderswo werden ebendiese Freiheiten als formal abgetan. Hier steckt ein Widerspruch, den man nicht mit Parolen auflösen kann.

Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1976, S. 272.

D 17 Ein 68er als Vater

Zeichnung: Erich Rauschenbach

D 18 Meine Einschätzung

Nehmen Sie bitte durch Ankreuzen der entsprechenden Spalte zu den nachfolgenden Zitaten Stellung und begründen Sie Ihre Meinung.

  Ich stimme zu Ich stimme
nicht zu
Unentschieden
1. Die Studenten kämpften zwar gegen Autoritäten; benahmen sich aber selbst sehr autoritär.      
2. Die Berufung auf Mao Tsetung und die chinesische "Kulturrevolution" stand im Widerspruch zur Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung.      
3. Die "APO" stellte die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland prinzipiell in Frage.      
4. Die jungen Leute stellten oft die richtigen Fragen, aber sie gaben die falsche Antwort.      
5. Die Studentenbewegung stand von Anfang an in Opposition zum parlamentarischen System.      
6. Politisch ist die Studentenrevolte gescheitert, aber sie hat die Einstellungen und Verhaltensweisen in der deutschen Gesellschaft verändert.      
7. Gegen die Aktionen der Studenten musste der Staat mit harten Mitteln vorgehen.      
8. Die Studentenbewegung war ein Versuch, die Gesellschaft in Deutschland in eine sozialistische zu verwandeln.      
9. Die Studenten wandten sich den wirklichen Verhältnissen zu und versuchten, diese in ihrem Sinne zu verändern.      
10. Die Studentenbewegung war eine typische Erscheinung der sechziger Jahre. Nur dort hatte sie ihren Platz.      


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