Zeitschrift

Die sechziger Jahre

in der Bundesrepublik Deutschland


Baustein C: C10 - C13
Die Kontroverse um die Notstandsverfassung


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Inhaltsverzeichnis

 

C 10 Wahlplakate der sechziger Jahre

Bundestagswahlkampf 1961


Bundestagswahlkampf 1969

Abbildungen nach:

Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Personen - Parolen - Plakate, Bonn o.J.

Reiner Diederich/ Richard Grübling: Stark für die Freiheit. Die Bundesrepublik im Plakat, Hamburg (Rasch und Röhring) 1989

Wolfgang Schepers (Hg.): '68, Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt, Köln (DuMont) 1997

C 11 Notstandsgesetzgebung

Eine Definition. Notstandsgesetzgebung bezeichnet die 1968 erfolgte Regelung des Staatsnotstandes in der BR Deutschland, die bis dahin den westlichen Besatzungsmächten überlassen geblieben war. Die Notstandsgesetzgebung führte zu einer Änderung des Grundgesetzes (Notstandsverfassung) und zur Verabschiedung mehrerer einfacher Notstandsgesetze. Neu geregelt wurden:

1. der Verteidigungsfall, d.h. der Fall eines Angriffs von außen auf die BR Deutschland mit Waffengewalt (Art. 115a ff. GG);

2. der innere Notstand, d.h. die Gefährdung des Bestandes der BR Deutschland oder eines ihrer Länder oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung von innen her;

3. der Katastrophenfall durch Naturkatastrophen oder (z.B. atomare) Unglücksfälle (Art. 91 und 35 GG).

Bei der Notstandsgesetzgebung geht es neben dem Einsatz von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr vor allem um die Konzentrierung staatlicher Macht bei der Bundesregierung. In bestimmtem Umfang dürfen Notstandsmaßnahmen mit Genehmigung des Bundestages schon vor Eintritt des Verteidigungsfalles angeordnet werden (sog. "Spannungsfall", Art. 80a GG)...

Die Regelung des Notstandes im Grundgesetz ist sehr ausführlich und bemüht, rechtsstaatlichen Erfordernissen gerecht zu werden. So bleibt der gerichtliche Schutz des Bürgers gegen Übergriffe der Staatsgewalt auch im Notstandsfall grundsätzlich gewahrt.

Hede Prehl u.a.: Schüler-Duden. Politik und Gesellschaft, Mannheim (Dudenverlag) 1979, S. 274 f.

C 12 Plakat der Gegner

NOTVERORDNUNGEN

haben Hitler den Weg bereitet.

Bei Gründung der Bundesrepublik sollte diese Möglichkeit durch die Verfassung ein für allemal ausgeschlossen werden. Deshalb gibt es im Grundgesetz keine Diktaturvollmachten. Dennoch hat das Grundgesetz fast zwanzig Jahre, die nicht immer leicht waren, vollkommen ausgereicht - schon weit länger als die Verfassung von Weimar.

Jetzt fordert die Regierung wieder

NOTSTANDSGESETZE

Schon in Friedenszeiten soll es eine Arbeitsdienstpflicht geben. Die Arbeitnehmer sollen unter dem Kommando der Unternehmer in Werkschutzeinheiten organisiert werden. Unter der Aufsicht von Blockwarten sollen Luftschutzkeller, Luftschutzgeräte und Kriegsvorräte angelegt und in Luftschutzübungen ausprobiert werden.

Die Macht der Exekutive wird übergroß. Schon ihre Behauptung, es drohe dem Land ein Angriff, kann zur Ausschaltung des Parlaments führen. Nur ein kleiner Ausschuss von Abgeordneten soll in die Geheimnisse der Regierung eingeweiht und zur Mitarbeit an ihren Beschlüssen herangezogen werden. Das ist nicht mehr Kontrolle durch das Volk, das ist keine Demokratie mehr. Immer, wenn des Volkes Rechte eingeschränkt wurden, rückten Krieg und Diktatur näher. Passt diesmal auf!

NOTSTANDSGESETZE bedeuten

NOTSTAND DER DEMOKRATIE!

Seid wachsam! Informiert Euch! Protestiert!

Macht von Euren demokratischen Bürgerrechten Gebrauch!

Plakatentwurf: Eberhard Marhold; Fotografie: Horst Eigen
Kuratorium "Notstand der Demokratie", 1967

C 13 Ein Plädoyer für die Notstandsverfassung

Das 1949 verabschiedete Grundgesetz hatte nur höchst unzulängliche Bestimmungen für außerordentliche Notstände des Staates, das heißt für Kriegszeiten, ungewöhnlich schwere Naturkatastrophen oder innere Unruhen getroffen. Versuche, dies zu beheben, waren aus politischen Gründen in früheren Bundestagen gescheitert. Erst die Große Koalition schaffte es, auch diese ... Vorsorgebestimmungen zu formulieren und mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit (384 gegen 100 Stimmen) zu beschließen....

Wenn man manchen Polemiken engagierter Gegner dieses Vorhabens glaubte, war damit die Demokratie in Deutschland in äußerster Gefahr... Die Argumente waren im allgemeinen nur von wenig Sachkenntnis unterstützt. Die Politiker sahen die Dinge weitaus sachlicher und erkannten, dass im Verteidigungsfall ... einige Grundrechte nicht völlig ohne Einschränkung würden weitergelten können...

Viel weniger beachtet wurde, dass im Zusammenhang mit dieser Änderung des Grundgesetzes auf Wunsch der SPD auch ein sehr wichtiger Absatz neu eingefügt wurde, der die Wahrung der demokratischen Rechte des deutschen Volkes sogar verstärkte: Dem Artikel 20 des Grundgesetzes wurde ein Absatz 4 angefügt: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Reinhard Schmoeckel/Bruno Kaiser: Die vergessene Regierung. Die Große Koalition 1966 bis 1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn (Bouvier) 1991, S. 270 f.


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