Zeitschrift Die sechziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland |
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C 7 Günter Grass über die Große Koalition Brief an Willy Brandt, abgedruckt im Vorwärts vom 30. November 1966 Diese Entscheidung wird mich und viele meiner Freunde gegen ihren und meinen Willen in die linke Ecke drängen und zum bloßen, obendrein politisch machtlosen Widerpart der NPD degradieren. Wie sollen wir weiterhin die SPD als Alternative verteidigen, wenn das Profil eines Willy Brandt im Proporz-Einerlei der Großen Koalition nicht mehr zu erkennen sein wird?... Der unheilbare Streit der CDU/CSU wird auf die SPD übergreifen. Ihre Vorstellung vom "anderen Deutschland" wird einer lähmenden Resignation Platz machen, die große und tragische Geschichte der SPD wird für Jahrzehnte ins Ungefähre münden. Die allgemeine Anpassung wird endgültig das Verhalten von Staat und Gesellschaft bestimmen. Die Jugend unseres Landes jedoch wird sich vom Staat und seiner Verfassung abkehren, sie wird sich nach Links und Rechts verrennen, sobald diese miese Ehe beschlossen sein wird. C 8 Leistung und Grenzen Unbestreitbar ist, dass dieses Bündnis viel bewegte und einen Modernisierungsschub in Gang setzte. Seine gesetzgeberische Gesamtbilanz fiel erstaunlich gut aus: 436 Gesetze wurden verabschiedet. Der Sachzwang, dem sich die ungleichen Partner ausgesetzt sahen, gab nur wirklichkeitsnahen Vorhaben eine Chance. So lag das Schwergewicht der Reformvorhaben auf der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie der Rechtspolitik. Vor allem die von Karl Schiller so benannte "Konzertierte Aktion", das Stabilitätsgesetz und die Konjunkturprogramme führten zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft. Die von Minister Katzer verantwortete Sozialpolitik setzte den Ausbau des sozialen Netzes fort; der Kündigungsschutz wurde verbessert, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf die Arbeiter ausgedehnt... Ein wesentlicher Punkt war auch die Neuverteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Zugleich trieben CDU und SPD mit aller Macht die Notstandsgesetze voran, die sie als staatstragend verstanden - und wunderten sich zugleich über das Anwachsen einer außerparlamentarischen Opposition, die in diesen Gesetzen den ersten Schritt auf dem Weg zu einem autoritären Staat zu erkennen meinte... Mit wachsendem Abstand wird die Arbeit des Bündnisses der beiden Volksparteien zunehmend kritischer beurteilt. Anhänger des Mehrheitswahlrechts werfen der Großen Koalition vor, sie habe es versäumt, ein "mehrheitsbildendes Wahlrecht" zu installieren ... Sehr kritisch werden inzwischen auch die Änderungen im Bund-Länder-Verhältnis gesehen. Vor allem das Steuerwesen, die Entwicklung hin zu "Gemeinschaftssteuern" habe zur Unübersichtlichkeit geführt. Dies schwäche, so heißt es heute, die Reformfähigkeit der Republik und müsste deshalb geändert werden. Möglicherweise wiederum von einer Großen Koalition? Werner Birkenmaier; in: Stuttgarter Zeitung vom 14. April 1998, S. 2. C 9 Bilanz der Gesetzgebung Eine Auswahl der verabschiedeten Gesetze 1967 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ("Stabilitätsgesetz") Verpflichtung aller staatlichen Organe auf die gesamtwirtschaftlichen Hauptziele: Preisstabilität, Vollbeschäftigung, Außenhandelsgleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum 1967 Parteiengesetz Regelung des Status, der Struktur und der Aufgaben politischer Parteien 1968 Kohlegesetz Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Steinkohlebergbaus durch Förderung der Unternehmenskonzentration und der Rationalisierung sowie neue Investitionen in Bergbaugebieten 1968 Notstandsverfassung (vgl. C 11 - C 13) 1969 Finanzverfassungsreform Regelung der Aufteilung der Steuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und Regelung der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern 1969 Arbeitsförderungsgesetz Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit: Verbesserung der Berufsberatung, berufliche Bildung und Fortbildung sowie Umschulung 1969 Strafrechtsreform Betonung des Strafziels Resozialisierung; Vereinheitlichung der Freiheitsstrafen, Abschaffung des Zuchthauses |
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