Zeitschrift 

Regionen in
Baden-Württemberg

BAUSTEIN D

Wege zur Landesidentität

Heft 1/2001 , Hrsg.: LpB



 

Inhaltsverzeichnis 

 

Bei der napoleonischen Flurbereinigung von 1806 entstanden die beiden Mittelstaaten Baden und Württemberg. Eine neue Scheidemarke zwischen Wiederherstellung der alten Verhältnisse und der produktiven Weiterentwicklung von neuen Grenzziehungen durch die Alliierten ist das Jahr 1945.

Hintergründe zur Entstehung des Landes Baden-Württemberg

In den drei nach 1945 neu gebildeten Ländern (Nord-)Württemberg-(Nord-)Baden, (Süd-)Württemberg-Hohenzollern und (Süd-)Baden wird überdies eine völlig neue Identitätsproblematik erkennbar. In Württemberg-Baden ist man vor allem bestrebt, die einmal gewonnene Verbindung von Nordwürttemberg und Nordbaden nicht mehr aufzulösen. Es ist daher von ausschlaggebender Bedeutung, dass der Vertreter von Nordbaden in der Stuttgarter Regierung, der stellvertretende Ministerpräsident Heinrich Köhler sich der Linie von Ministerpräsident Reinhold Maier anschließt und im Sommer 1948 für den Südweststaat votiert. Mit entscheidend ist dabei, dass die französische Besatzungspolitik die amerikanischen und englischen Weichenstellungen in Richtung auf einen Weststaat blockiert. Aus nationalstaatlicher wie aus ökonomischer Sicht will Köhler aber diese Perspektive unterstützen. Das Mittel dazu ist ihm der Verbleib Nordbadens in der US-amerikanischen Zone, während die Wiederherstellung des alten Landes Baden vermutlich eine Neugliederung der Besatzungszonen bringen würde.

In Südbaden bildet sich indessen unter der geistigen Federführung von Paul Zürcher und der politischen Führung von Leo Wohleb die Theorie der badischen Kernlande. Die Freiburger Regierung gilt demnach als die legitimierte Sprecherin gesamtbadischer Interessen. Nach der von den Alliierten erzwungenen Vereinigung von Nordbaden mit Nordwürttemberg ist sie die Badische Landesregierung, während die Karlsruher Regierungsgewalt "ruhe".1 Nicht nur Hermann Bausinger widerlegt die historische Legitimation von badischen Kernlanden, weil es sie so im 19. Jahrhundert nie gegeben habe. Ungeachtet dessen hat die Freiburger Regierung mit ihrer Auffassung höchst erfolgreiche Identitätsstiftung betrieben, bei der Ressentiments gegenüber Karlsruhe, aber vor allem gegen Stuttgart eine Rolle spielen. Es bleibt festzuhalten, dass die Bevölkerung Südbadens bei der Abstimmung 1951 mehrheitlich die Wiederherstellung Badens wollte.

Die nordwürttembergische Position ist am frühesten und nachdrücklichsten auf eine Neugliederung im Sinne des Südweststaats ausgerichtet. Hauptargumente sind Verwaltungsvereinfachung, ökonomische und finanzpolitische Stärkung. Bei den anderen vorhandene Vorbehalte gegen den Stuttgarter "Zentralismus" werden dabei in fast naiver Weise unterschätzt.

Höchst kompliziert sind die Verhältnisse in Südwürttemberg-Hohenzollern. Hier ist einerseits eine Bindung an Nordwürttemberg unverkennbar, vorwiegend in protestantischen Kreisen. Andererseits bildet sich nach 1945 gerade in Oberschwaben sehr schnell die Vorstellung heraus, eine einfache Rückkehr zu den altwürttembergischen Verhältnissen mit ihrer Dominanz von Stuttgart dürfe es auch nicht mehr geben. Die von den Alliierten erzwungene Zweiteilung Württembergs wird als Chance ergriffen, um ein ausgeprägtes Regionalprofil besonders in der Schulpolitik aufzubauen. Der Südweststaat wird hier als Alternative zum zentralistisch verwalteten Württemberg gesehen - eine Vorstellung, die auch die südbadische CDU teilt, soweit sie nicht "altbadisch" eingestellt ist. Die Südweststaatsbewegung wird also aus völlig unterschiedlichen Motiven gespeist. Keineswegs ist sie der Sieg über vorhandene Regionalismen.2

Hemmschuhe bei der Entwicklung einer Landesidentität

Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass die Motive zur Gründung des Südweststaats negativ in dem Sinne bestimmt waren, dass hier nachteilige Entwicklungen abgewehrt werden sollten. Das gilt für Heinrich Köhler und die nordbadische CDU ebenso wie für die südwürttembergische CDU - schlechte Voraussetzungen also für eine positiv zu definierende Landesidentität. Anders liegen die Dinge bei der nordwürttembergischen CDU, der SPD und der FDP/DVP. Hier waren es Effizienzgründe, welche die Befürworter des Südweststaats motivierten: Verwaltungsvereinfachung, Spareffekte, Stärkung der Finanzkraft und Chancen für eine großflächige Wirtschaftspolitik des neuen Bundeslandes. Das waren rein rationale Argumente, welche die Südweststaatspropaganda aufzubieten hatte. Es kann daher nicht verwundern, wenn sich diese Linie in der Identitätsstiftung bei den Landesregierungen und den Landtagen von Baden-Württemberg fortsetzt. Die Schlagworte von Wirtschaftskraft, Finanzstärke und Modernität werden in den einschlägigen Publikationen immer neu variiert. Sofern historische Leitfiguren auftauchen, stehen sie mit diesen Parolen in enger Verbindung: Gottlieb Daimler, Carl Benz und Robert Bosch sind die Ikonen einer solchen Selbstdarstellung. Andere historische Identifikationsangebote scheinen nicht zu existieren. Nur am Rande tauchen bestimmte historische Vorgänge auf, die als vorbildlich und landestypisch gepriesen werden, wie etwa der Tübinger Vertrag von 1514 als Ausweis früher parlamentarischer Formen in Württemberg.

Nachteilig für die Entwicklung einer Identität ist auch, dass die Landeshauptstadt sich offensichtlich schwer tut, attraktiv nach außen zu wirken. Der Vergleich mit München oder Dresden fällt meist zu Ungunsten Stuttgarts aus. Wissenschaftler wie Hermann Bausinger oder Otto Borst äußern sich sehr skeptisch zur Bildung einer Landesidentität3. Es liegt nahe, dass die baden-württembergischen Landespolitiker das anders sehen.

Neue Wege zur Landesidentität

Seit einigen Jahren ist in einschlägigen Broschüren eine neue Identitätsformel aufgetaucht. Das "Tüftlertum" wird zum Landesspezifikum ausgerufen. Auch dieser Begriff hängt mit Wirtschaftskraft und Modernität zusammen. Weit besser als die vorher zitierten Formulierungen lädt der "Tüftler" aber durch die Personalisierung zur Identifikation ein. Das regional erheblich differierende Lebensgefühl wird damit freilich nicht angesprochen. Ein Württemberger wird sich mit dieser Formel erheblich leichter identifizieren als ein Oberschwabe oder Südbadener.

Lange Zeit hat man offenbar geglaubt, Landesidentität am besten durch Ignorieren der Regionalismen zu fördern, vermutlich auch um den leidigen Gegensatz von Baden und Württemberg möglichst nicht zu berühren. Erst in den letzten Jahren zeichnet sich hier ein Wandel ab. Regionen werden offenbar zunehmend als Bausteine einer Landesidentität positiv gesehen. Das zeigt etwa ein Vergleich der "Jahresspiegel" des Landtags von Baden-Württemberg der letzten Jahre. Interessant ist deshalb der Text D 16 aus der Werbe- und Sympathiekampagne "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." Die Kampagne zeigt alle hier beschriebenen Identitätsformeln in exemplarischer Weise.

In Baden-Württemberg ist seit 1945 versucht worden, Identitäten unterschiedlichster Prägung zu stiften. Die Modelle stehen in der Spannung zwischen Regionalidentitäten einerseits und einer gemeinsamen Landesidentität andererseits. Das ist Ausdruck des in den letzten zwei Jahrhunderten immer neu umgepflügten deutschen Südwestens. Die Frage nach der baden-württembergischen Identität bleibt damit ebenso aktuell wie spannend.

Unterrichtspraktische Hinweise

Als erster Schritt ist es sinnvoll, dass man die Karten von 1789 und 1806 gegenüberstellt. In die Karte von 1806 trägt man die inkorporierten (um nicht zu sagen: annektierten) historischen Großregionen (siehe Baustein C) und die historischen Wappen des großen Landeswappens in die Gebiete von Baden und Württemberg ein. Nach den Steckbriefen der historischen Großregionen müsste klar sein, dass Identitäten sich hier neu formieren. Die Karte mit den Vorschlägen zur Namensgebung aus der Gründungsphase Baden-Württembergs seit 1948 zeigt die Schwierigkeit, einen neuen gemeinsamen Nenner zu entwickeln. Das Große Landeswappen zeigt die starke regionale Gliederung des Bundeslandes. Das bayerische und das rheinland-pfälzische Landeswappen belegen durch mit Baden-Württemberg gemeinsame Wappenteile, dass alte historische Zusammengehörigkeiten wie bei der Kurpfalz und Hohenlohe-Franken durch neue Landesgrenzen zerrissen worden sind. Das Zitieren von Elementen des Landeswappens im Logo von Firmen, Verbänden und Vereinen soll signalisieren, dass die damit vermittelte Herkunftsangabe Baden-Württemberg offenbar als Ausweis der Vertrauenswürdigkeit nach innen wie nach außen gilt. In beiden Richtungen wird also ein positives, wenn auch undefiniertes Grundbild von Baden-Württemberg vorausgesetzt.

Der Versuch eine Landeshymne zu schaffen (D 10), zeigt den Mangel an gewachsenen Gemeinsamkeiten. Schließlich zeigen die Beispiele aus der Werbekampagne Wir können alles. Außer Hochdeutsch, dass hier drei Linien moderner Identitätsstiftung für Baden-Württemberg zusammengeführt werden:

  1. Der traditionelle Stolz auf die Wirtschaftsleistung
  2. Das neue Profil Baden-Württembergs als das Land der Tüftler und Patente
  3. Baden-Württemberg als Land, das in jüngster Zeit seinen Frieden mit den historischen Großregionen geschlossen hat und bewusste Vielfalt und Offenheit lebt.

Mögliche Aufgaben

D 2 bis D 6: Welche Informationen enthält das Große Landeswappen? Was zeigt der Vergleich mit den Wappen von Bayern und Rheinland-Pfalz?

D 7 bis D 9: Diese Reihe zeigt Firmenlogos, die Teile des Landeswappens verwenden. Kennst du diese Unternehmen? Was hat sie bewogen, Teile des Landeswappens für ihre Selbstdarstellung zu verwenden? Kennst du ähnliche Strategien bei Unternehmen aus anderen Bundesländern?

D 10: Wie findest du dieses Lied? Erkläre das Konstruktionsprinzip dieser Landeshymne.

 

1 Uwe Uffelmann: Identitätsstiftung im Südwesten. Antworten auf politische Grenzziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Idstein 1996, insbes. S. 20 ff.

2 Heinz Pfefferle, op. cit., insbes. S. 232 ff.

3 Hermann Bausinger: op. cit., S. 57; Otto Borst: Identität und Integration. In: Meinrad Schaab (Hrsg.): 40 Jahre Baden-Württemberg. Versuch einer historischen Bilanz, Stuttgart 1993, S. 100

 


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